Die Übungen des täglichen Lebens

Der Erwachsene ist Vorbild

Das wichtigste Vorbild für das Kind ist der Erwachsene. Täglich beobachtet es, wie seine Eltern sich morgens ankleiden und waschen, das Essen zubereiten, den Tisch decken und abräumen, abspülen oder die Spülmaschine einräumen. Es sieht (hoffentlich) beide Eltern kehren, Staub wischen, Fenster putzen und aufräumen. Früher oder später möchte das Kind diese Aktivi­täten selbst durchführen. Während der Erwachsene diese Dinge tut, um möglichst schnell damit fertig zu werden, ist für das Kind die Aktivität selbst das Ziel – nicht das fer­tige Produkt der Arbeit. Dies ist der entscheidende Unterschied zwischen der Arbeit des Erwachsenen und der Arbeit des kleinen Kindes!

Förderung der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit

Maria Montessori beobachtete in ihrem ersten Kinderhaus das große Interesse der Kinder an Aktivitäten dieser Art und bereitete sorgfältige Übungen dazu vor, sodass die Kinder sie selbstständig durchführen konnten. Durch die Übungen des täglichen Lebens lernen die Kinder früh, sich selbst anzukleiden und zu waschen, Essen vorzubereiten und zu servieren, den Boden zu kehren, die Blumen zu pflegen und vieles mehr. Damit die Kinder auch tatsächlich selbstständig arbeiten können, ist entscheidend, dass die Möbel und Geräte, die dazu benötigt werden, an die Größe der Kinder angepasst sind.

Indirekte Vorbereitung

Wenn das Kind in das Kinderhaus eintritt, so werden diese Übungen die ersten sein, die es kennen lernt. Dadurch wird nicht nur der Bogen geschlagen vom Eltern- zum Kinder­haus. Vielmehr bereiten diese Aktivitäten auch auf die weiteren Arbeiten in der vorbereite­ten Umgebung vor: Das Kind lernt dabei beispielsweise eine Arbeit, die es begonnen hat, zu Ende zu führen und die Materialien an seinen Platz zurückzustellen. Ihm wird gezeigt, wie es einen Arbeitsteppich aus- und wieder einrollt; es lernt, ein Tablett zu tragen, später auch ein Tablett mit einem Glas, schließlich mit einem gefüllten Glas.

Bereiche

Insgesamt gibt es bei den Übungen des täglichen Lebens vier wesentliche Bereiche:

  • Übungen zur Förderung der Motorik und Koordination
  • Übungen zur Pflege der Umgebung
  • Übungen zur Pflege der eigenen Person
  • Höflichkeitsübungen

Ziele

Jede Übung hat sowohl ein direktes Ziel – nämlich die Kompetenz, welche durch die Aktivität selbst erworben wird, wie zum Beispiel das Schlei­fenbinden – als auch viele indirekte Ziele, wie die Förderung der Selbstständigkeit, der Konzentration, der Feinmotorik sowie der Hand-Auge-Koordination. Gefördert werden auch Selbstwertgefühl – „Ich kann das alleine!“ – und soziales Bewusstsein. Viele Aktivitäten beziehen sich auf die Pflege der Umgebung – z.B. das Kehren des Raumes oder die Pflege der Pflanzen – und dienen damit der ganzen Gemeinschaft. Von Anfang an lernen die Kinder somit, Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für die anderen Kinder und ihre Umgebung zu übernehmen. Intellektuelles Lernen wird ebenfalls gefördert: Die Kinder erkennen, dass es logisch ist, beim Abspülen eine bestimmte Reihenfolge einzuhalten oder dass es wenig Sinn macht, den Kerzenständer aus Messing mit einem schmutzigen Lappen zu polieren. Durch kurze und prägnante Sprachlektionen erweitern die Kinder zudem ihren Wortschatz.