Sprache im Kinderhaus

Die Sprache ist der Schlüssel zur Welt. Es ist das Medium, mit welchem wir unsere Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringen können und somit sozusagen das „Werkzeug unserer Intelligenz“. Es ist nicht Ziel des Kinderhauses, dem Kind das Lesen und Schreiben beizubringen; vielmehr wird dem Interesse und den Bedürfnissen des Kindes – seinen besonderen Sensibilitäten – Folge geleistet.

Sensible Phase für Sprache

Das Kind kommt zur Welt mit der Fähigkeit, jede Sprache der Welt zu sprechen. Mit etwa sechs Monaten hat es  jedoch ein spezielles Gehör für die Sprachen entwickelt, welche in seiner Umgebung gesprochen werden. Mit drei Jahren – wenn es in das Kinderhaus eintritt – kann es in der Regel sprechen. Es hat die Sprachen in seiner Umgebung in seiner Ganzheit – den Wörtern, der Grammatik und Syntax, der Intonation – aufgenommen und nutzt sie nun, um zu erzählen, sich Hilfe zu holen, mit anderen in Kontakt zu treten u.v.m. Es benötigt nun jedoch die Gelegenheit, zu sprechen und die Sprache zu erleben. Es muss jedoch auch lernen, Kommunikationsregeln zu beachten – wie z.B. zuzuhören, nicht gleichzeitig zu sprechen, andere ausreden zu lassen. Nur dann kann Kommunikation gelingen.

Indirekte Vorbereitung auf das Schreiben und Lesen

Das Kind, welches das Kinderhaus zum ersten Mal betritt, hat die mündliche Sprache bereits erworben; hierfür hat es zwei Jahre unermüdlicher Arbeit investiert. Das Kind, welches das Kinderhaus verlässt, hat die Schriftsprache erworben. Auch für diese Errungenschaft der Menschheit benötigt das Kind zwei oder mehr Jahre. Diese Arbeit verlangt eine lange, größtenteils indirekte Vorbereitung. Sie folgt dem Interesse des Kindes für Laute und Buchstaben sowie seinem Bedürfnis nach sinnlicher Wahrnehmung.

Vorbereitung der Hand

Sämtliche Übungen des praktischen Lebens sowie Aktivitäten mit den Sinnesmaterialien bereiten indirekt auf den mechanischen Aspekt des Schreibens vor: die sowohl kleinen Bewegungen (z.B. beim Auf- und Zuschrauben von Döschen beim Polieren) als auch großen Bewegungen (beim Schrubben von Tischen) werden immer genauer gesteuert, die Auge-Hand-Koordination wird geschult und der Dreifingergriff, welcher zur korrekten Stifthaltung führt, wird geübt, z.B. beim Gebrauch von Pipetten, beim Greifen der kleinen Knöpfe an den Einsatzzylindern oder Puzzleteilen. Aber auch Auge und Ohr werden durch Übungen mit den Sinnesmaterialien geschult.

Intellektuelle Vorbereitung

Alle Wortschatzübungen bereiten das Kind auf das Schreiben und Lesen vor. Alle Bewegungen – sowohl bei den Übungen des täglichen Lebens als auch bei den Sinnesmaterialien – werden von links nach rechts bzw. von oben nach unten präsentiert – also in Schreibrichtung. Alle Aktivitäten haben einen Anfang und ein Ende; geschriebene Sprache folgt dem gleichen Prinzip.

Direkte Vorbereitung

Es gibt in der Montessori-Umgebung jedoch auch direkte Übungen, welche zum Schreiben und Lesen führen. Hierzu gehören das tägliche Lautspiel, durch welches beim Kind das Bewusstsein für die Laute geschaffen wird, aus welchen Wörter zusammengesetzt sind (phonologische Bewusstheit); die Übungen mit den metallenen Einsätzen, bei welchen das Kind lernt, einen Stift richtig zu halten, ohne zu schreiben. Und schließlich folgt die Arbeit mit den berühmten Sandpapierbuchstaben, mit welchen eine motorische Handlung – das Spüren der Form und die damit verbundene Bewegung – verknüpft wird mit dem entsprechenden Laut. Ist diese Verknüpfung gefestigt, ist das Kind in der Lage, mit den einzelnen Buchstaben des beweglichen Alphabets erste Wörter, Sätze und schließlich sogar Geschichten zu schreiben, selbst wenn der motorische Aspekt des Schreibens noch nicht gefestigt ist. Es kann sich ausdrücken – und diese Gedanken schriftlich fixieren. Welch eine Freude!